Die sehr politische Forderung der Weltstillwoche «Stillen muss möglich sein!» am Arbeitsplatz für alle Mütter, die dies wünschen, ohne Ausnahme, wurde mit einem Schreiben an sämtliche Mitglieder des Nationalrats gerichtet. Zu meiner Freude wurde die Forderung aufgenommen und Nationalrätin Manuela Weichelt (Grüne) reichte eine Motion ein: «Stillen am Arbeitsplatz soll Bundesrecht werden». Der Bundesrat empfiehlt eine Ablehnung der Motion mit der Begründung, dass bereits mit der bestehenden Gesetzgebung alle Frauen das Recht auf Stillen am Arbeitsplatz haben, anerkennt jedoch den Missstand, dass Arbeitgebende nicht genügend informiert sind. Ich begrüsse, dass der Bundesrat das SECO im Jahr 2024 beauftragen wird, mit einer Informationskampagne die Arbeitgebenden
zu sensibilisieren.
Auf die bereits 2017 von mir gestellte Forderung nach einer Ausdehnung der Werbebeschränkung auf Folgenahrung erfolgte damals die Antwort, die gesetzlichen Vorgaben seien vorhanden und müssten nur entsprechend umgesetzt werden. Diese Umsetzung hat in den letzten fünf Jahren nicht stattgefunden. Ich bin glücklich, dass diese Forderung nun von Nationalrätin Manuela Weichelt erneut aufgenommen wurde mit der Motion «Kommerzielle Säuglingsnahrung – Umgehung des Werbeverbots». Der Bundesrat wird beauftragt, Art. 41 der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung, «Werbebeschränkungen für Säuglingsanfangsnahrungen», auf Folgenahrungen
auszudehnen.
Eine vielbeachtete Publikation im Fachmagazin «The Lancet» beschreibt das Marketing für Säuglingsnahrung und dessen Einfluss auf Familien, Gesundheitspersonal, Wissenschaft und politische Prozesse. Der Bericht zeigt, wie der Verkauf von Säuglingsnahrung durch Marketingstrategien vorangetrieben wird und die Produkte als Lösung für die allgemeinen Gesundheits- und Entwicklungsprobleme von Säuglingen dargestellt werden. Dem muss entgegengewirkt werden. In der Antwort des Bundesrates auf die Motion steht, dass er das BLV im Jahr 2024 beauftragen wird, konkrete Vorgaben zu erarbeiten. Sollte dieses Vorgehen nicht zu einer Anpassung der Werbemassnahmen führen, werden weitergehende Massnahmen zu prüfen sein. Wir werden genau hinsehen.
Leider wurde in der Herbstsession die Motion «Dem Stillen mehr Schutz gewähren» von Nationalrätin Marie-France Roth Pasquier im Nationalrat abgelehnt. In dieser wurde der Bundesrat aufgefordert, eine ausreichend und über die öffentliche Hand finanzierte nationale Kommission für das Stillen mit Muttermilch ins Leben zu rufen, bestehende Laktarien zu fördern und zu unterstützen, die Schaffung neuer Zentren zu fördern und Muttermilch einen rechtlichen
Status zu verleihen.
Erneut waren die drei Fachtagungen «Einflüsse auf das Stillen», «Stillen möglich machen» und «Sich um das Stillen kümmern» sehr geschätzt und erfreuten sich einer hohen Anzahl Teilnehmender.
Allen, die mit Ideen, ihrem Netzwerk und ihrem Wissen dazu beitragen, Eltern und stillende Mütter zu unterstützen,
danken wir ganz herzlich. Ein grosses Dankeschön gebührt auch unseren Mitarbeiterinnen sowie den Mitgliedern des Stiftungsrates, des Fachbeirates und der verschiedenen Arbeitsgruppen für ihren Einsatz. Speziell danken möchte ich auch Nationalrätin Manuela Weichelt, die sich der brennenden politischen Themen angenommen hat.
Yvonne Feri
Präsidentin des Stiftungsrates
Die langjährige Präsidentin Ursula Zybach ist im April 2019 zurückgetreten. Seit der Gründung der Stiftung im Jahr 2000 begleitete Ursula Zybach Stillförderung Schweiz, den Stiftungsrat präsidierte sie seit 2007. Sie brachte viele wertvolle Impulse ein und trug mit ihrem Wissen und der breiten Erfahrung massgeblich zur Entwicklung der Stiftung bei. Dafür gebührt ihr ein grosser Dank!
An der Stiftungsratssitzung vom 5. April 2019 wurde ich als neue Präsidentin gewählt. Ich freue mich auf die Herausforderung und will mich zusammen mit dem Team der Stiftung Stillförderung Schweiz für optimale rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für das Stillen engagieren. Das gesellschaftliche Umfeld soll so gestaltet werden, dass Stillen möglich ist für alle, die dies wollen. Keinesfalls soll auf die Frau ein Druck zum Stillen ausgeübt werden.
Die Weltstillwoche 2019 machte auf die Bedeutung des sozialen und arbeitsrechtlichen Schutzes für die Elternschaft aufmerksam. Genau vor 100 Jahren nahm die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) den Mutterschutz erstmals in ein Übereinkommen auf. In der Schweiz wurde die Mutterschaftsversicherung 2005 eingeführt. Seit 2014 gelten gemäss Arbeitsrecht bezahlte Stillzeiten während des ersten Lebensjahrs des Kindes. Frauen im gebärfähigen Alter stehen meist voll im Erwerbsleben und sind ein wichtiger Erfolgsfaktor der Schweizer Wirtschaft. Eine längere Elternzeit, wie dies in vielen europäischen Ländern üblich ist, wäre wünschenswert.
Väter haben heute eine anspruchsvolle Aufgabe: Einerseits steuern sie nach wie vor fast drei Viertel des Einkommens der Familie bei. Andererseits sollen sie präsente und kompetente Väter sein. Das ist eine grosse Herausforderung.
In Zusammenarbeit mit männer.ch ist ein neues Faltblatt mit Informationen für Väter entstanden: «Du willst das Beste für dein Baby. Gib’s ihm! ». Studien zeigen, dass der Vater grossen Einfluss darauf hat, ob und wie lange seine Partnerin stillt. Die neue Information will Väter in dieser Rolle bestärken. Auch die Mutter wird angesprochen, eine eigenständige Beziehung des Vaters zum gemeinsamen Kind zu fördern.
Mit der Eingabe der Motion «Bezahlte Stillpausen sollen durch die Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert werden» hat Nationalrätin Maya Graf die Problematik der Finanzierung der Stillpausen durch den Arbeitgeber aufgenommen. Vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben wäre es wichtig, dass die Kosten der Stillpausen durch die EO übernommen werden, so dass die stillenden Mütter von ihren Arbeitgebern nicht unter Druck gesetzt werden, frühzeitig mit Stillen aufzuhören. Stillen braucht die Unterstützung der Arbeitgeber und der Gesellschaft, damit Stillen und Erwerbstätigkeit nicht im Konflikt stehen.
Seit der Gründung der Stillförderung Schweiz im Jahr 2000 durfte ich die Stiftung als Stiftungsrätin und als Präsidentin prägen. Dabei konnte ich mit kompetenten, innovativen und engagierten Geschäftsführerinnen zusammenarbeiten und es standen mir fachkundige Stiftungsrätinnen, Stiftungsräte und Expertinnen zur Seite. Ihnen allen gehört mein grosser Dank!
Stillen braucht die Unterstützung der Gesellschaft. Eine stillfreundliche Umgebung trägt dazu bei, dass Mütter länger stillen. Dabei sind der Vater und die Familie wichtig, aber auch das weitere Umfeld. Nebst der Politik muss deshalb auch die Wirtschaft am gleichen Strick ziehen. Arbeitgeber sollen werdende Mütter über ihre rechtliche Situation informieren und Unterstützung anbieten, um das spätere Stillen am Arbeitsplatz zu ermöglichen und zu erleichtern. Mitarbeitende können betroffene Kolleginnen ihrerseits bestärken und ihnen Hilfe anbieten.
Um das Stillen nicht zu konkurrenzieren, gilt in der Schweiz ein Werbeverbot für Säuglingsanfangsnahrungen. Diese Beschränkung sollte auch auf Folgenahrungen bis zum Alter von zwölf Monaten ausgedehnt werden. Weil die Verpackungen – abgesehen von der Altersangabe – oft identisch sind, können diese Produkte leicht verwechselt werden. Das Werbeverbot wird dadurch faktisch umgangen. Dass hier Handlungsbedarf besteht, anerkennt der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Motion von Nationalrätin Yvonne Feri.
Unsere Vision ist, dass möglichst viele Kinder während vier bis sechs Monaten nach Geburt ausschliesslich gestillt und nach Einführung der Beikost weitergestillt werden. Um diese Vision zu erreichen hat der Stiftungsrat im vergangenen Jahr fünf strategische Handlungsfelder definiert und diese mit konkreten Massnahmen ergänzt.
Als Kompetenzzentrum unterstützen wir die im Bereich von Schwangerschaft, Geburt und Kleinkindern tätigen Fachpersonen mit Informationsmaterialien für die Eltern. Damit unsere Informationen, Angebote und Empfehlungen von den Eltern verstanden und angewendet werden können, bieten wir unsere unterschiedlichen Angeboten in vielen Sprachen an. So konnten wir 2016 die Kurzfassung des bekannten, mehrfach ausgezeichneten Ausbildungsfilms «Breast is best» in 14 Sprachen erstellen. Unser Fachbeirat hat Schlüsselszenen des Films zusammengestellt und diese wurden dann in die verschiedenen Sprachen übersetzt und vertont. Das Resultat ist ein Kurzfilm, der es ermöglicht, Eltern, die nicht deutscher, französischer oder italienischer Muttersprache sind besser über das Stillen und die Vorzüge von Muttermilch zu informieren und zu beraten.
Verschiedene Studien belegen, dass Muttermilch Frühgeborenen dabei helfen kann, Entwicklungsrückstände aufzuholen. In dem 2016 herausgegebenen Film «Stillen von Frühgeborenen» zeigen wir Müttern und Vätern auf anschauliche Weise, dass auch zu früh geborene Babys mit noch schwach ausgebildetem Saugreflex gestillt werden können.
Das vergangene Jahr war für die Stiftung ein kleines Jubiläum: Sie feierte ihr 15-jähriges Bestehen. Ein Blick zurück zeigt, dass sie seit ihrer Gründung im Jahr 2000 als „Schweizerische Stiftung zur Förderung des Stillens“ Vieles geleistet hat: Stillbroschüren in zehn Sprachen, die App „Mamamap“, das Sachcomic „Neuland“ oder ihre kritischen Beiträge zur Vermarktung von Säuglingsnahrung sind nur einige Beispiele.
Auch lassen sich positive Veränderungen erkennen. So zeigt die Still- und Ernährungsstudie 2014 des Bundes, dass Neugeborene heute in den ersten Lebensmonaten konsequenter gestillt werden als noch vor zehn Jahren. Grund, sich zufrieden zurückzulehnen, ist das alles freilich nicht. Denn immer noch werden zu viele Säuglinge in der Schweiz weniger lang gestillt als Fachleute empfehlen. Die Stiftung wird ihre Anstrengungen daher mit aller Kraft fortführen. Sie hat sich in den vergangenen Jahren strategisch neu ausgerichtet und bringt dies nun auch durch eine Namensänderung zum Ausdruck: Unter dem Kurznamen „Stillförderung Schweiz“ positioniert sie sich als nationales Kompetenzzentrum, das sich ausschliesslich der Förderung des Stillens in der Schweiz widmet.
Kompetenz ist auf verschiedenen Ebenen gefragt. Fachpersonen haben beispielsweise ein Bedürfnis nach soliden wissenschaftlichen Grundlagen für ihre Beratungstätigkeit. Stillförderung Schweiz kam dem im vergangenen Jahr mit zwei Fachtagungen entgegen, die sich mit den positiven Wirkungen der Muttermilch befassten. Über den Nutzen von Muttermilch weiss man heute Vieles – wenig dagegen über die Hintergründe und Zusammenhänge. Als Mitte 2015 bekannt wurde, dass dank einer privaten Stiftung an der Universität Zürich ein Lehrstuhl für Muttermilchforschung geschaffen wird – eine Weltpremiere! –, war das deshalb eine ausserordentlich erfreuliche Nachricht. Von dem Lehrstuhl erhoffen wir uns weitere Kompetenzgewinne für die Fachwelt.
Stillen während der Arbeitszeit ist in der Schweiz, trotz beträchtlicher gesellschaftlicher und rechtlicher Fortschritte in den vergangenen Jahren, nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Zwar werden Empfehlungen zum Stillen vermehrt befolgt, wie die Ergebnisse der neusten Studie zu Säuglingsernährung und Gesundheit (Swiss Infant Feeding Study) aus dem Jahr 2014 zeigen, doch arbeitsrechtliche Unsicherheiten, so zum Beispiel zu bezahlten Stillpausen, sind sowohl bei Arbeitnehmerinnen als auch bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern noch weit verbreitet.
Die Inkraftsetzung der Verordnung über bezahlte Stillpausen war sicherlich ein Höhepunkt im Jahr 2014. Sie regelt die Anrechnung der Stillzeit an die Arbeitszeit für stillende Arbeitnehmerinnen bis zum ersten Lebensjahr ihres Kindes. Die neue Bestimmung definiert die den Müttern für das Stillen als bezahlte Arbeitszeit zu gewährende Dauer genau und trägt damit zu klaren Verhältnissen bei.
So erfreulich diese Entwicklung auch sein mag, die Förderung des Stillens, die Information der Mütter über ihre Rechte und die Sensibilisierung und Information der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zum Stillen während der Arbeit und den Vorteilen des Stillens für Mutter und Kind bleiben auch weiterhin zentrale Aufgaben unserer Stiftung.
Der Stiftungsrat hat im vergangenen Jahr die neue Strategie den Organisationen, die im Bereich der Stillförderung und der Kleinkinder engagiert sind in Vernehmlassung gegeben und die entsprechend angepasste Strategie anlässlich der Stiftungsratssitzung vom Mai verabschiedet. Die Stiftung hat sich dadurch für die Zeitspanne von 2013 bis 2016 konkrete strategische Ziele auf den Ebenen Kunden, Ergebnisse, Prozesse und Potenziale gesetzt. Im Fokus stehen dabei die Zunahme der Anzahl Mütter, die während vier bis sechs Monaten stillen, die bessere Vereinbarkeit von Stillen und Erwerbstätigkeit und der Zugang zu Spendermilch für alle Frühgeborenen in der Schweiz. Damit dies gelingt, braucht es unter anderem einen Wandel bezüglich des Images des Stillens, das Zusammenspiel der Fachpersonen aller relevanten Berufsgruppen, bessere Rahmenbedingungen für die Eltern und ein qualitativ hochstehendes Angebot an Informationsmaterialien. Die Geschäftsstelle soll als Drehscheibe funktionieren, Kooperationen und Partnerschaften aufbauen sowie die Öffentlichkeitsarbeit zielgerichtet intensivieren, so dass das Thema Stillen als ein wichtiger Teil der Gesundheitsförderung und Primärprävention am Lebensstart positioniert werden kann.
Gleichzeitig wurden der Stiftungsrat und der wissenschaftliche Fachbeirat für die kommenden drei Jahre neu besetzt. Der Stiftungsrat wurde verkleinert und wird sich künftig um die strategischen Fragestellungen der Stiftung kümmern. Der Fachbeirat wurde mit weiteren Fachpersonen ergänzt und wird künftig systematisch für fachliche Fragestellungen genutzt.
An dieser Stelle möchte ich den aus dem Stiftungsrat und dem Fachbeirat scheidenden Personen für ihre engagierte und wichtige Arbeit in den vergangenen Jahren danken. Insbesondere Irène Hösli, die während sieben Jahren den Fachbeirat geleitet hat.